LEBEN DES OBERSTS MICHAEL JEKIMOFF

Michael Jekimoff (1865-1941?) gehörte zur westernesierten Mittelschicht des gottorpischen Sanctpetersbourgs. Sein Vater Wassili Jekimoff, ein orthodoxer Russe, war ein gelingender Beamter des Ministeriums für Staatliche Besitztümer. Seine Mutter war eine in Deutschland geborene deutsche Lutheranerin Anna Schenken. Die Familie war groß: 5 Söhne und 4 Tochter. Der Vater sorgte für eine garantierte Karriere seiner Söhne, darum brachte er alle in verschiedene Kavalerieschulen unter. Eine seiner Tochter, Maria, verheiratete mit Grafen Eugen Visconti, einen Nachfahren der bekannten Familie von Petersburgischen Architekten. 


Wassili Jekimoff mit seinem Schwiegersohn Eugen Visconti (dem Mann von Michaels Schwester Maria) in Paullust (Paulowsk).

Paullust war ein Ort kreativer Tätigkeit von David Visconti, einem Architekten, dem Schöpfer der Visconti-Brücke im Park, sowie von seinem Bruder Carlo Domenico Visconti, auf dessen Urheberschaft das Mausoleum dort zurückgeht. David war Urgroßvater von Eugen Visconti, in Blüte seiner Kariere – Vize-Direktor der Abteilung für allgemeine Angelegenheiten im Ministerium der Außenpolitik.


Eugen in Blüte seiner Kariere mit seiner Ehefrau Maria und Adoptivtochter Sanda, 1911.

Michael ging einen erfolgreichen Weg vom Kornett im 1888 bis zum Oberst im 1915 (noch Oberstleutnant am 1. Januar 1915, davor etwa 29 Jahre wenigstens bis zum 1. September 1913 im 13./5. Kargopol Dragonnerregiment gedient, danach aber im 13. Wladimir Ulanenregiment mit der Karrierefortsetzung in der Roten Armee). 

Er war bekannt als Gewinner vieler Preise, einschließlich Kaiserspreise bei Pferderennen.


Photo von Michael mit einer Inschrift von seinem Bruder Koka in hohem Alter getan

 
Er war auch Liebling der Frauen – bei einer Romanze mit der Ballerina Matyłda Krzesińska musste sogar sein Vater eingreifen und ihn aus einem gefährlichen Konkurrenzkampf mit Thronfolger Nikolaus Gottorp Romanoff heraushelfen (indem der Vater bat, seinen Sohn von Sanctpetersbourg weg zu versetzen). 
Seine gewagten Scherze enthüllen seine lebenslustige und abenteuerliche Natur. Einmal, als Michael und sein jüngerer Bruder Koka, (Konstantin Jekimoff, 1873–1956), dann ein Kornett des 13.ten Kargopol Dragonnerregimenten, auf einen Zug am Bahnhof warteten, tauchte dort ein Militär-General auf, der anfing, Koka zu kritisieren, weil er nicht den Stehkragen des Mantels zugeknöpft hatte (dies könnte sich vor 1900 zugetragen haben, wenn Koka noch ein Kornett war). Koka wurde abwechselnd rot und blass, und schlotterte natürlich. Als ihr Zug abfuhr, drehte Michael dem auf der Plattform gebliebenen General eine lange Nase durch das Fenster. 


Preis der 5-ten Kavaleriedivision gewonnen! Koka am Anfang seiner Kariere in Polen (Skierniewice).

Vier von 5 Brüder einst in Polen dienten. 


Michael, seine Ehefrau Aglaide, der Sohn Georgi und Tochter Vera und Gulja auf dem Weg aus Konin nach Sanktpetersbourg

Wenn die Revolution von 1905 begann, war Koka im Hofstallungendienst in Sanctpetersbourg, wo er zusammen mit seiner Ehefrau Martha, Tochter des lutherischen Pastor Karl Henkel (Konin), und zwei kleinen Knaben wohnte. 


Pfarrer Karl Henkel, seine Tochter Martha, die Enkel Wladimir und Wassili, Dienerin Olga am Eingand des Pfarrhauses. Konin 1910.

In Konin blieb Marthas Vater Karl, Schwester Marie und Magdalene (Schwester Marie zog später nach Sanctpetersbourg, wo sie Konstantin Klosse, Geiger des Maria-Theaters verheiratete, auch der jüngerer Bruder Karl arbeitete in Sanctpetersburg). 

 


Marie née Henkel mit ihrem Mann Konstantin Klosse und Kindern Lisa und Nicholas, Nowgorod.

 

1905 Marthas Bruder Alexander war in Sosnowiec, woraus er revolutionäre Situation dort in seinem Brief nach Marie beschrieb: ...W Sosnowcu wszystkie fabryki stoją...Do Sosnowca przybyło massa wojska...  In derselben Zeit schreibt Michael an Koka nach Sanktpetersbourg, dass seine und Bruder Wassilis Schwadronen nach Sosnowiec gesand werden um die Unruhen zu unterdrücken:

               

 

Der Schicksal Alexanders ist unbekannt. Ob er ein Opfer der politischen Repressalien wurde, ob ging er zu den Deutschen im ersten Weltkrieg über – schon vor 1914 gab es ein Schweigen in bezug auf ihn in der Familie Henkel, so dass in neuerer Zeiten sogar keiner von seinen stark polonisierten Neffen oder Nichten etwas erzählen konnte.


Alexander steht auf linker Seite zwischen Marie und seinem Vater Karl (weiter nach rechts Magdalene, Michaels Bruder Wassili, Karl Henkel Junior. Frau Pastorin Martha sitzt links mit ihrem Enkel Wassili, Tochter Martha ist die letzte auf der rechten Seite). Konin, Pfarrhaus. 

Im Weltkrieg kämpfte Michael in Galizien im 13ten Wladimir Ulanenregiment erst als Oberstleutenant am Anfang 1915, aber als Oberst seit 19. November 1915. Er ist Oberst in demselben 13ten Wladimir Ulanenregiment auch am 1. August 1916. Später war er für kurze Zeit ein Kommandeur dieses Regiments am Ende 1916 oder irgendwann bis Sommer 1917. Carl Gustaf Mannerheim (der selbst dieses Regiment befahl seit dem Anfang 1909 bis zum 1911) erinnert in seinen Memoiren, dass nachdem Kommandeur der 13ten Kavalleriedivision Generalleutnant Fürst Tumanow ihm befahl, die Stadt Krasnik vor den Österreichern zu verteidigen, wurde seine Spezielle Gardistenbrigade mit den 13ten Wladimir Ulanenregiment und 13ten Dragonnerregiment verstärkt. Das heißt, dass an jenen Tagen diente Michael unter dem Kommando von Karl Gustaf Mannerheim.




Der Held, der den Asiaten Stalin überwand


Zusammen mit seinem Sohn Georgi schloss Michael sich den Bolschewiken an und begann seinen Dienst in der Roten Armee 1918. Während des folgenden Bürgerkrieges wurde er Inspektor des Kasan Kavallerie-Bezirks.


Georgi (Gorja) als Kadett einer Junkerschule in Kasan (Brief an Onkel Koka und Tante Martha)


Michael musste auch vor dem Krieg eine Zeilang nach der Stadt der Schulung seines Sohns kommandiert werden, wie von einer Weihnachtskarte ersichtlich, die er und Aglaide Ende 1910 an Familie Henkel in Konin geschickt hatten
:


Aglaide nach 19. November 1915

Zur selben Zeit des letzten Kampf gegen Wrangel in Krim, 1920, leitete Georgi eine Kavalleriedivision in der Schlacht bei Perekop. Er wurde getötet. Seine sterblichen Überreste wurden zu seinem Vater nach Kasan überführt. Es war während eines Balls, als Michael hinausgerufen wurde, um vom Tod seines einzigen Sohns zu erfahren. Er wurde ohnmächtig. Georgi wurde in Kasan begraben:



Es ist paradox, dass Georgi zur Zerstörung von Sanctpetersbourg beitrug durch seine Teilnahme am Kampf gegen General Wrangel, den Ideologen dieser westeuropäischen Stadt in Ingria. Peter Baron von Wrangel (1878-1928) war ein echter Petersbourger und einer jener seltenen Repräsentanten der Elite, für die Sanctpetersbourg keine russische Hauptstadt war, sondern eine westliche Metropole über Russland. Das Reich selbst war nicht russisch, sondern petersbourgisch. Russland war lediglich eine ökonomische Ergänzung von Sanct-Petersbourg. Dieses waren wirkliche Ideen, die von Wrangel gegen das aufständische Russland verteidigte, nur eine fremde Rasse, sondern keine alternative politische Kraft (wie die Bolschewiken schienen). Es ist klar, dass die Repräsentanten der Sippe Jekimow nicht zu solch einem Grad verwestlicht waren, um diese Ideen zu verstehen und anzunehmen. Oder war die letzte Entscheidung von Michael, 1941 in Paullust zu bleiben (siehe weiter unten), als Buße für seinen Dienst in der Bolschewiken-Armee?
Nach dem Bürgerkrieg ging Michael in Pension (dies bewahrte ihn von Stalins Repressalien der dreißiger Jahre) und die bolschewistischen Behörden boten ihm an, für sich und seine Familie ein x-beliebiges Landhaus, welches immer er sich nur wünschte, zu wählen. Michael wählte historische Rotast-Villa in Paullust, einem ehemaligen kaiserlichen Residenzvorort neben Sanctpetersbourg. Da war ein kleiner privater Park gelegen, der zur Villa gehörte, gegenüber der BIP ('Kaiser Paul I Bastion')-Festung. Michael verlegte dorthin seinen Wohnsitz zusammen mit seiner Ehefrau Aglaide, und seinen Töchter Vera und Gulja. 


Vera vor dem Villa Rotast in Paullust


Die Liebe zu Paullust reichte zurück bis Michaels Vater, der gelegentlich im Sommer dort "Datchas" mietete (zumindest einmal, zusammen mit seinem Sohn Koka in der Ortschaft Nowaja Wesj). Später verbrachten andere Verwandte, wie auch viele Familien und die Frauen der Militärdienstleute, ihre Sommer in Paullust. Darum auch in der sowietischen Zeit sammelten dort verschiedene Verwandte desselben alten Geistes:


Veraltete Gäste: Eugen Visconti und ehemaliger Kavalerieoberst Feodor Jekimoff (der älteste aller Brüder) sitzen auf Terrasse der Villa. Aglaide und Michael stehen dahinten.

 


Michael (steht im Zenter neben Tamara, Enkelin seines Bruders Feodors, Vera sitzt rechts). Villa Rotast, BIP-Festung in der Ferne.


Koka, Michael und Vera in der Villa (1. Stock), 1937.



Michael und Aglaide hatten auch eine Tochter Maria, das zweite Kind nach Georgi. Leider starb Maria in der Kindheit, nachdem sie eine ganze Flasche starke Medizin getrunken hatte, die versehentlich an einem ungeeigneten Platz zurückgelassen worden war.

Nachdem die Familie nach Paullust umgezogen war, starb Gulja, an Tuberkulose. Sie hinterließ einen Sohn Leonid (Lodja) Pozniański, einen künftigen Cellisten, der weiterhin von seiner Tante Vera großgezogen wurde: 


Kurz nach dem Krieg starb Vera selbst an Tuberkulose. Da damals weder Michael noch seine Ehefrau D6 mehr existierten, ist das weitere Schicksal von Leonid unbekannt.
Als der zweite Weltkrieg ausbrach, floh Vera zusammen mit Leonid in die Stadt, aber Michael und Aglaide blieben zuzweit in Paullust, das bald von nazideutschen Truppen besetzt wurde.
Das Schicksal von Michael und Aglaide ist unklar. Den Berichten nach schien das Hauptquartier der Spanischen Blauen Division in ihrem Haus einquartiert worden zu sein, aber neuere Publikationen zeigen, dass der Divisions-Stab in einer anderen Villa einquartiert worden war. Da Michael nicht evakuiert werden wollte und Halbdeutscher war, ist es sehr wahrscheinlich, dass er vorsätzlich in Paullust blieb, als die Deutschen sich näherten, und sich mit ihnen zu verständigen hoffte. Jedenfalls war der russische Bolschewismus, den er gut verstanden und innerlich zurückgewiesen hatte, fremd für ihn, sogar in kultureller und ethnischer Hinsicht. Möglicherweise war dieses seine Buße für seinen Dienst in der Roten Armee. Am wahrscheinlichsten wurden Michael und Aglaide, als Evakuation vermeidende bekannte Leute, von zurücktretenden N.K.V.D.-Kommandos erschossen. Weniger wahrscheinlich scheint es, dass die Nazis einen bekannten Offizier töten wollten, wenn er geblieben gewesen war, um zu ihrer Seite überzugehen. Am wenigsten wahrscheinlich ist, dass die alten Leute zusammen mit der deutschen Armee in den Westen flohen (wenn aber nicht davor, schon imlaufe der Okkupation, eine Erlaubnis nach Deutschland zu fahren bekommen hatten). Im besten Fall konnten sie ihren Verwandten nach dem Krieg kein Zeichen aus dem Westen geben, weil sie gut wussten, was das für diese bedeuten konnte unter der blutigen kommunistischen Diktatur.


Eine der letzten Aufnahmen: auf der linken Seite – Feodor Jekimoffs Tochter Nina Godlewska, Michael Jekimoff, Sanda Visconti, Aglaide Jekimoff; auf der rechten Seite – Vera, Konstantin Jekimoff Junior, Tatiana Jekimoff née Tarassenko, Nadeschda Elb, Martha Jekimoff née Henkel. Kokas alte Wohnung in Sanktpetersbourg, Hochzeitsfest Konstantins und Tatiana Jekimoff, 1938.